Von Hansjürgen Vahldiek und Harald Zimmermann
Die Besonderheit dieses Geläuts wird durch die sachgerechte Tonwiedergabe der Glocken und verschiedener Geläutedispositionen unterstrichen.
Schon zur Einweihung des Alten Berliner Doms im Jahre 1536 wurde der Glockenturm (s.Beitrag) mit einem außergewöhnlichen Geläut bestückt. 1537 kam noch das „Langestück“ hinzu, eine Attraktion, die mit ihrem Gewicht von 13,2 t die schwerste freischwingende Glocke des ausgehenden Mittelalters war.
Dank ausgeklügelter Geläutedispositionen standen mehr als ein Dutzend Läutemotive zur Verfügung, die von den schweren Glocken als prächtiger Klangeindruck zur Geltung gebracht wurden.
Viele offene Fragen konnten durch gründlichen Recherchen und Nachrechnen (mit extrem großen Rechercheaufwand) beantwortet werden.
Interessant dürften auch die Hörbeispiele sein, entstanden durch eine fachgerechte Simulation.
Als PDF-Datei unter: ZLB: digital.zlb.de/viewer/fulltext/15818615/1/
Das Geläut wurde in einem mächtigen Turm, dem „Glockenturm“, untergebracht [2], der sich im einstigen Klosterbezirk der Dominikaner direkt neben dem Alten Berliner Dom befand.
Zum Alter und der einstigen Verwendung des Turmes gehen die Meinungen weit auseinander. Der Begriff „Schloßturm“ in der Urkunde von 1683 (s. Zeittafel [2]) lässt vermuten, dass er zum ersten Schloss (1453) gehörte. Dagegen steht die Meinung, dass er „zum Zwecke des Glockenturms“ errichtet wurde.
Falls es sich aber um einen althergebrachten Turm mit Findlingsmauerwerk handelte, mußte noch die Glockenstube eingefügt werden, um die Glocken aufnehmen zu können.
Nicht nur die Prachtentfaltung im Schloßbereich, sondern auch die religiöse Prachtentfaltung stand bei Kurfürst Joachim II. an erster Stelle. Schon sein Vater, Joachim I., hatte versucht, den Domstift aus der kleinen Erasmuskapelle des Schlosses zu verlegen [1]. Nun, im Dezember 1535, erhielt Joachim II. die Genehmigung des Papstes zur Verlegung in die wesentlich größere Klosterkirche der Dominikaner. Nur wenige Monate danach, zu Pfingsten 1536, konnte der „Alte Berliner Dom“ mit einer äußerst prächtigen Ausstattung eingeweiht werden. Für die Gewänder wurden ausgesuchte Stoffe von weither beschafft. Auch die Besucher kamen aus aller Ferne, um die Zeremonien und das außergewöhnliche Geläut, das seines Gleichen suchte, zu erleben.
Abb. 1: Die großen Glocken im Überblick. Da für die h0-Glocke aus Brandenburg, die bis 1552 verwendet wurde, keine Simulation erstellt werden konnte, wurde der Wilsnacker h0-Ton bei den Geläutebeispielen eingesetzt.
Zur Geschichte des Geläuts
Joachim II. hatte bis zur Einweihungsfeier zu Pfingsten 1536 Zugriff auf die Glocken aus Neuruppin, Brandenburg, Bernau und Osterburg. Das ergab eine beeindruckende Erstbestückung:
1536: a0 – h0 – d1 – e1 :„Gloria-Motiv erweitert“ [7] Hörbeispiel anhören
1537 wurde das „Langestück“ gegossen. Es muß für Kepffel ein erhabenes Erlebnis gewessen sein, als er neben seinem „Langestück“ die Osterburger und daneben noch die Neuruppiner als Schwester der Gloriosa hören konnte. Nachdem dann die Eberswalder nach Cölln gebracht worden war, stand die endgültige Disposition zur Verfügung :
1538: e0 – g0 – a0 – h0 – d1– e1 : „Ausgefülltes Moll-Dur-Motiv mit ver-doppeltem Grundton“. Hörbeispiel anhören
1552: Im Rahmen der Schlichtungsgespräche in Wilsnack konnte Joachim II. die lang ersehnte h0-Glocke nach Cölln bringen und gegen die Glocke aus Brandenburg austauschen lassen, so dass der h0-Ton verstärkt wiedergegeben werden konnte.
1685: ho-d1-e1 :“Tedeum-Motiv“. Hörbeispiel anhören
Mit dem Neuguß der Bernauer, die nun „Brandenburger“ hieß, begann die Periode des Dreiergeläuts, das heute noch existiert (s. unten). Es ist das obere „Tedeum-Motiv“ der Disposition des Sechsergeläuts von 1538, das um das untere „Tedeum-Motiv“ vermindert wurde: e0 – g0 – a0. Hörbeispiel anhören
Zu den oben genannten Dispositionen der Geläute und den weiter unten genannten Einzelglocken wurden die Teiltöne der Glocken von Harald Zimmermann berechnet. Darauf aufbauend und unter Verwendung von Teiltönen aus dem umfangreichen Archiv (Glockengießerei Grassmayr seit 1599), wurden die fachgerechten Simulationen von Peter Grassmayr erstellt.
Wie kam es zu diesem besonderen Geläut?
Glückliche Umstände verhalfen Joachim II. zu dem beeindruckenden Geläut. Erst am Ende des 15. Jh. war nämlich die Entwicklung der Glockenkunst abgeschlossen. So wendete der berühmte Geerd Van Wou aus Kampen als Erster konsequent die Proportionalgesetze beim Glockenguß an [4]. Damit erhöhte er die Treffsicherheit für die Schlagtöne. Bislang war es mehr ein Glücksfall, wenn der gewünschte Ton einer Glocke getroffen wurde.
So gelang Van Wou im Jahre 1497 der nahezu perfekte Guß der 11,4 t schweren „Gloriosa“ (mit e0) für den Erfurter Dom. Sie gilt seither weltweit als klangschönste Glocke, nicht nur ein Ansporn für alle Glockengießer, sondern auch für Joachim II., der die Gloriosa als Vorbild für die neu zu gießenden Glocken nahm und sie sogar mit dem 13,2 t schweren „Langestück“ zu übertreffen suchte.
Die umfangreichen Planungen und Abwägungsprozesse waren ein mutiger „Husarenritt“: Damit sich die Innenharmonie des Geläuts ausbilden konnte, mußten die Teiltöne der einzelnen Glocken genauestens abgestimmt werden (Tab. 1-2+3).
Die heikle Aufgabe der Umsetzung, es sollte ja ein ganz besonderes Geläut werden, übertrug Joachim II. dem bis dato unbekannten Andreas Kepffel, der nicht nur bei den Planungen für die Erstbestückung des Geläuts tätig war, er meisterte im Jahre 1537 auch noch den Guß vom „Langestück“.
Die Daten, die diese Zusammenhänge beschreiben, können den Tabellen entnommen werden.
Andreas Kepffel
Es ist schon erstaunlich, daß es zur Bestallung des damals unbekannten Andreas Kepffel als Berater und Gießer kam. Schließlich war der Guß des „Langestücks“ das Prestigeobjekt von Joachims II.!
Aber als sogenannter Stückgießer war er sehr universell. Er goß nicht nur Glocken, sonder lieferte auch Büchsen und Geschütze, also Produkte, die eine hohe Präzision erforderten und dann auch noch verziert werden mußten. Es war also nicht nur gußtechnisches Können gefragt, sondern auch künstlerische Gestaltung.
Andreas Kepffel (ca. 1490 bis 1555, siehe Abb. 2) stammt aus Lothringen oder wie es auf seinen Glocken zu lesen ist, aus Lutring. Wie er zu den genauen Kenntnissen der Arbeiten von Wou gelangte, ließ sich trotz intensiver Forschung nicht nachweisen. Allerdings ist denkbar, dass es zwischen Kepffel und Hinrik Van Kampen, der in der Werkstatt Van Wous gearbeitet hat, zu einer Begegnung gekommen ist und so Kepffel an die Kenntnisse der Wouschen Arbeitsweise gelangt ist.
Dennoch hat Kepffel einen eigenständigen Weg eingeschlagen. Seine Glocken weisen eine spezielle Form auf, so daß man von der „Kepffelrippe“ sprechen kann: Seine Glocken haben ein bestimmtes Verhältnis von Durchmesser/Höhe, nämlich 1,18 und eine überdurchschnittlich hohe Glockenkonstante von 12,2 (im Durchschnitt). Die Kronen besitzen eine unverwechselbare Gestaltung.
Wenn man seine Lebensdaten durchgeht, gewinnt man den Eindruck, daß Kepffel von der engen Verbindung, die zwischen dem Hause Anhalt und Joachim I., der zeitweilig dort Vormundschaften hatte, und später auch Joachim II., profitierte.
Seine Lebensdaten:
1532 Osterburg. (Daten s. Tab 1 ff.) Da diese Glocke mit dem Verhältnis Durchmesser/Höhe = 1,182 gegossen wurde, dürfte es sich um eine von Kepffel gegossene Glocke handeln, denn dieses Verhältnis ist typisch für die Kepffel-Glocken. Hiermit konnte er – im Hinblick auf das Langestück – seine Befähigung zum Guß einer Glocke mit der hohen Glockenkonstanten von 12,19 nachweisen
1534 Stolpe (bei Berlin), Glocke (f2 +8,5 , Kairies, EKBO, 19.6.2014 / ca. 120 kg, nach Grabinski Tab. / 2,5 ct = 128,85 kg / D = 22 “ = 0,575 m / Glockenkonstante 12,26)
1534 Falkonett – befindet sich jetzt im Regionalmuseum Bad Frankenhausen. Über dem Herzschild des Wappens mit Brandenburgischen Kennzeichen ist eine Miniatur als Marienverehrung zu entdecken und zwar, wenn man links vom Falkonett steht und zur Miniatur herüber schaut.
1536 Seegefeld (Falkensee), Glocke ( D = 24,5 “ = 0,640 m )
1537 Langestück (Daten s. Tab 1 ff.)
1539 Falkonett (für den Fürsten von Anhalt-Dessau) befindet sich jetzt auf Schloß Wernigerode – vermutlich gegossen zur Einführung der Reformation in Dessau .
1541 Stundenglocke, später in die Heiligegeistkirche (Potsdam), (Kriegsverlust durch russischen Artilleriebeschuß des Turmes: 26.4.1945)
1543 Falkonett – auf Schloß Wernigerode, mit Wappen der Fürsten von Anhalt
1544 Eberswalde, Stundenglocke [31], deren besonders guter Klang attestiert wird (as1 / 10,5 ct = 541,6 kg / D = 3′ = 0,9416 m / Glockenkonstante 12,16) Inschrift siehe [32]. Im Krieg 1941 abgeliefert, im Berliner Westhafen 1948 gesichtet. Ausführicher Recherchebericht [33]
1545 Alt Stralau, Glocke (as2 + 6 (Andreas Philipp, Göttingen 2001) / 2 ct = 103,08 kg / D = 20 “ = 0,523 m / Glockenkonstante 12,47)
1547 Sperenberg, Glocke ( D = 32,5 “ = 0,850 m )
1548 Havelberg (Dom), Stundenglocke / D = 32 “ = 0,837 m (Kriegsverlust, abgeliefert 1917)
Bem.: Die Abweichungen der heutigen Meßdaten entstehen durch die die Festlegung auf a1 = 435 Hz gegenüber der damals üblichen 440 Hz
Abb. 2: Ausschnitt der Inschrift [32] der Kepffelschen Stundenglocke (1544). Rechts daneben: Das Medaillon von Kepffel (neben dem „K“)
Kepffel, dessen Verdienste man nicht vergessen sollte, dürfte Joachim II. davon überzeugt haben, dass man Glocken mit verstärkten „Wourippen“ gießen konnte. Seine größte Leistung war der Guß des „Langestück“ für den „Cöllner“ Glockenturm im Jahre 1537.
Aus der Inschrift [32] der Eberswalder Stundenglocke geht hervor, daß Kepffel um 1544 „in Cölln an der Spree“ lebte. In der Inschrift sind zwischen dem Text liegend drei Abdrücke von Renaissance-Medaillen eingestreut. Es wird vermutet, daß eine, zwischen „Andreas“ und „Kepffel“, das Portrait des Gießers wiedergibt. Das wäre eine besondere Ehrung (Abb.2 und 5).
Auch in Havelberg zeigt sich, wie stark das Zusammenwirken von Kepffel mit Joachim II. war. Dieser wollte seinen Sohn Markgraf Friedrich als Bischof dort einsetzen. Das Domkapitel widersetzte sich zunächst, nahm ihn aber doch noch als Bischof an, als man die von Kepffel gegossenen Glocke als Geschenk übergab. Unter der Inschrift, die Kepffel als Gießer ausweist, befand sich die Vorder- und Rückseite einer geprägten Münze: Ein Reliefporträt zeigt den Markgrafen Friedrich von Brandenburg.
Die Erstbestückung.
Vorausschauend dürfte man schon ab 1530 gründliche Recherchen betrieben haben, um die sinvolle und machbare Disposition des Geläuts herauszufinden. Dabei muss sich herausgestellt haben, dass zur Einweihung des Domes vier Glocken zu „beschaffen“ waren. Glücklicher Weise gelang der Zugriff rechtzeitig zum Termin 1536.
So mußte z.B. die Bernauer Glocke im März 1536 in Cölln abgeliefert werden.
Ein besonderer Gewinn war die Neuruppiner, eine im Jahre 1490 von Van Wou gegossenen Glocke. Allerdings mußte man nun die von Van Wou schon ab 1490 deutlich erhöhte „Glockenkonstante“ (Tab.2) bei den Planungsarbeiten berücksichtigen. Nach Andre‘ Lehr [22] hatte sie quasi die gleichen klangbestimmenden Daten wie die „Gloriosa“ aus dem Jahre 1497, die mit der Wouschen Rippe als Leitbild für das gesamte Geläut dienen sollte.
Die Osterburger , deren Daten uns glücklicher Weise in allen Einzelheiten bekannt wurden, lassen vermuten, dass sie schon im Vorfeld genau auf das geplante Geläut ausgerichtet worden war.
Des Weiteren hatte man die besondere Glocke aus Wilsnack vorgesehen. Leider war sie 1536 noch nicht verfügbar, so dass man sich zunächst mit dem Ersatz aus Brandenburg begnügen mußte.
Weitere Ausstattung des Geläuts
Joachim II. dürfte Kepffel mit den notwendigen Planungsarbeiten für das Geläut beauftragt haben. Denn Kepffel war vermutlich ein genauer Kenner der Wouschen Arbeitsweise und konnte die zu erwartenden Schwierigkeiten bewältigen. Es folgte der Guß des „Langestück“. Zum Abschluß wurde 1538 die Eberswalder freigestellt und nach Cölln gebracht.
Ausgangspunkt für die Planungen war offenbar die von Van Wou 1497 gegossene Gloriosa. Auffallend ist die recht hohe Glockenkonstante (Tab. 2). Das gilt auch für die von Van Wou 1490 gegossenen Neuruppiner, was schon beim Guß der Osterburger (1532) und später dann beim „Langestück“ (1537) zu einer entsprechend hohen Glockenkonstanten führte!
Die besondere Fachkompetenz und genaue Detailkenntnis, die beim Aufbau des Geläuts im Spiel war, wird beim Vergleich der Rippenschwere (Tab. 2) deutlich: Bis auf die Glocke aus Brandenburg (?) haben alle anderen annähernd gleiche Werte bei der Rippenschwere und folgen den Proportionalitätsgesetzen!
Möglichkeiten zur Würdigung des Geläuts
Da hierzu eine tiefergehende Kenntnis erforderlich ist, hat sich Harald Zimmermann mit den komplizierten Berechnungs- und Beurteilungsmöglichkeiten vertraut gemacht. Wie sich zeigte, wurde beim genaueren Nachrechnen der Glockendaten deutlich, dass die verfügbaren Angaben zu den einzelnen Glocken sehr unvollständig und widersprüchlich, ja sogar falsch sind. Nicht nur die Verwechslung der Zahlen für Durchmesser und Glockenhöhe waren des Öfteren zu beobachten [8]. Auch wurde das Klöppelgewicht zum Glockengewicht dazu gezählt.
Unter diesen Umständen war eine komplette Durchrechnung des Geläuts nötig, um an zuverlässige Daten zu gelangen. Der Berechnungsumfang war beträchtlich, denn es musste mit großer Genauigkeit – also mehrere Stellen nach dem Komma – gearbeitet werden, um eine angemessene Rechengenauigkeit zu erhalten.
Anschließend gab es natürlich eine Kontrolle der Ergebnisse. Das geschah durch Querrechnungen, wie dem Nachrechnen in Halbtonschritten. Des Weiteren durch eine Überprüfung mit dem Gewichtsfaktor „8“ je Oktave oder dem Durchmesser- und Frequenzfaktor „2“ je Oktave – entsprechend der Proportionalitätsgesetze, die erstmalig von van Wou angewendet wurden und denen auch Andreas Kepffel, dem Glockengießer von Joachim II, gefolgte sein dürfte.
Tab. 1: Glockendaten. Die Berechnungen hat Harald Zimmermann aufgrund historischer Überlieferungen und sorgfältiger Abwägungen auf der Basis a1= 435 Hz durchgeführt. Den Umfang der Wilsnacker Glocke hat er selbst gemessen! Zur „Gloriosa“ lieferte Bill Hibbert (WAH 6/1/01) die Schlagtonanalyse, Kurt Kramer den Durchmeser und A.Geyer für das „Langestück“ die Glockenhöhe, Gewicht und Durchmesser.
Bis auf die Glocke aus Eberswalde und Brandenburg (Durchmesser) – dort wurden Schätzwerte eingesetzt – orentieren sich die Daten an den Proportionalitätsgesetzen.
Tab. 1-1: Glockendaten, erweiterte Informationen. Interessant sind die Verhältnisse von Durchmesser/Höhe. So hat Geerd Van Wou das Verhältnis 1,25… und Kepffel dagegen 1,18… verwendet. Nur beim Langestück ist Kepffel wegen der Vermischung mit der Neuruppiner und Wilsnacker davon abgewichen. Zur Auslenkung des Glockenkörpers: bei einem Läutewinkel von 60 Grad enspricht das etwa der Glockenhöhe oder etwas weniger als dem Glockendurchmesser, d.h. beim Langenstück etwa +/- 2,3 m.
Zur Würdigung des Geläuts gehören Angaben, aus denen die sorgfältige Abstimmung der Teiltöne erkennbar ist und die Innenharmonie, bei der die Terze und Quarte (Nebenschlagton) eine besondere Rolle spielte. Die Abweichungen werden mit 1/16 des betreffenden Halbtonschrittes (HTS) angegeben, einer Angabe, die relativ und somit für das gesamte Spektrum anwendbar ist. Hörbar dürften Abweichungen von 2 bis 3/16 HTS sein.
Tab. 1-2: Angaben zur Innenharmonie des Geläuts vor 1682
Tab. 1-3: Angaben zur Innenharmonie des Geläuts nach 1685
Die Daten (Tab. 1-2 und 1-3) zeigen deutlich, wie das Geläut aufgebaut wurde und welche große Rolle die Neuruppiner Glocke spielte. War sie doch eine Schwester der „Gloriosa“, deren Spiegelbild durch die Neuruppiner ins Geläut kam. Man ging von der Wilsnacker aus, zu der auch die Bernauer recht gut paßte und entwickelte daraus die Daten für die Osterburger. Sie war die Grundlage für das „Langestück“. Die Eberswalder, die ein Jahr später nach Cölln kam, bildete den Abschluß der Geläuteentwicklung.
Abb. 3: Rippenform im Halbquerschnitt (gestrichelt). Damit wird die Glocke als Rotationskörper hinreichend beschrieben, wie auch die horizontal und vertikal verlaufenden Bereiche „…..“, in denen die betreffenden Schwingungen auftreten.
Der Schlagton ist ein Phänomen
Der Schlagton, der Nominalton oder „Grundton“ der Glocke, ist weder hörbar, noch ist er meßtechnisch vorhanden. Wir nehmen ihn aus dem Schwingungsgemisch war, das unmittelbar nach dem Schlag des Klöppels entsteht.
Die Entstehung stellt also ein Phänomen dar: Nach dem Schlag des Klöppels auf den Glockenkörper bilden sich (mit einer Schallgeschwindigkeit von etwa 3400 m/s) stehende Wellen entlang des Umfangs aus und zwar als harmonische Teilschwingungen in mehreren horizontalen Ebenen (s. Abb. 3). Zur Erklärung des Vorgangs werden auch waagerechte und senkrechte Teilschwingungen herangezogen.
Die für die Glocke spezifischen harmonischen Unter- und Oberschwingungen verebben beim Abklingvorgang.
Für die Frequenz (Hz) des Schlag- oder Nominaltons ist das Gewicht oder Masse (kg) der Glocke, der Durchmesser (m) und die Höhe (m) verantwortlich – natürlich verbunden mit der Stärke der „Rippe“, deren Form die Lage der starken Teiltöne (Tab.1-1+2) und damit die Klangfarbe bestimmt.
Zur Berechnung der Glockendaten
Historische Angaben, wie Zentner für das Gewicht und Zoll für den Durchmesser, stehen im Preußischen Maßsystem. Das ist bei der Umrechnung auf „kg“ und „m“ ins heutige Maßsystem zu beachten!
1 Zentner (ct) = 51,53896 kg
1 Zoll (“) = 0,02615445808 m
Die Gewichtangabe einer Glocke darf nur das Gewicht des eigentlichen Glockenkörpers enthalten und nicht noch das Gewicht des Klöppels. Denn der Schlagton ist nur vom Glockenkörper abhängig, während der Klang natürlich von der Krone, aber auch von der gesamten Aufhängung beeinflusst wird.
So wie bei den Buchdruckern haben sich bei den Glockengießern mittelalterliche Begriffe erhalten: Tonation, Schärfe, Rippe, Rippenschwere. Ein weiterer anschaulicher Wert ist die sogenannte Glockenkonstante.
Tonation: Das sind die Klöppelschläge je Minute.
Schärfe: Der größte äußere Umfang der Glocke wird durch eine scharfe Kante gebildet, die Schärfe. Da sich aber der Durchmesser leichter ermitteln lässt, wird dieser und nicht der Umfang als Glockenkennwert herangezogen.
Rippe: Die Konstruktion von Form und Größe einer Glocke sind durch die Rippe – dem vertikalen Halbquerschnitt – festgelegt (s. Abb. 2).
Rippenschwere =
d (Durchmesser, m)* Frequenz (Schlagton, Hz)
Das entspricht dem Proportionalitätsgesetz [9] zur Umrechnung der Glockendaten auf einen anderen Schlagton: Ein größerer Durchmesser verringert die Frequenz des Schlagtons bei gleichbleibender Rippe proportional.
Als Anhaltspunkt beschreibt der Wert von 380 m/s eine leichte und 450 m/s eine schwere Rippe. Diese Werte variierten im Laufe der Zeit und zwischen den verschiedenen Glockengießern.
Glockenkonstante =
M (Masse, kg) / d3,66…(Durchmesser, m)* Frequenz0,66…(Schlagton, Hz)
Sie wurde von Joachim Grabinski [10] eingeführt. Ihr Wert ist ein Kennwert, der in hervorragender Weise wichtige Glockendaten zu einem Begriff zusammenfasst und schnelle Vergleiche ermöglicht:
Grabinski gibt den Wert mit 11,42 als Mittelwert von 1200 ausgewälten Glocken an, der je nach Rippenschwere zwischen 9 und 12 variiert.
Im Laufe der Zeit (s. Tab. 2) waren immer schwerere Glocken gefragt, so dass sich die Glockenkonstante immer mehr erhöhte. So hatte die 1456 gegossene Bernauer Glocke eine Konstante von 10,15 Mit der Neuruppiner Glocke (1490) wurde sie bereits auf 11,98 und mit der Gloriosa in Erfurt (1497) auf 11,96 gesteigert.
Tab. 2: Glockendaten. Beim Vergleich der Glockendaten, wie z.B. der Rippenschwere, wird deutlich, wie sorgfältig man aus dem vorhandenen Glockenangebot ausgewählt hat, um ein Geläut mit höchsten Ansprüchen zu realisieren.
Es ist davon auszugehen, daß die Wilsnacker bzw. Eberswalder Glocke von dem hervorragenden Glockengießer Henrik Waghevens (1420 – 1483) gegossen wurde.
Die Großen Glocken, Herkunft und Werdegang
Die Beschreibung erfolgt nach der Herkunft (oder Bezeichnung).
Osterburg: e1 Hörbeispiel anhören
Leider wurden beim Großbrand im Jahre 1761 sämtliche Unterlagen zerstört. Zum Glück gibt die reichliche Verzierung das Gießdatum von 1532 an. Hinrich Van Kampen kann also nicht der Gießer der Osterburger gewesen sein, denn er verstarb bereits 1521/22 [30].
Die Osterburger kann man aber als Kepffelglocke bezeichnen: Auch diese Glocke weist, wie die zwischen 1534 – 1548 von Kepffel gegossenen Glocken, die Kepffelsche Handschrift auf (s.Durchmesser/Höhe in Tab.1-1), d.h. die von ihm benutzte Struktur von Durchmesser, Höhe und Krone.
Die Glocke kam 1717/18 in den neugebauten südwestlichen Turm des Alten Doms. Im Berliner Dom ist sie dann 1974 gerissen. Von der Schweißreparatur in Apolda kam sie 1977 in den Berliner Dom zurück. Bei der Einsegnungsfeier brach allerdings der Klöppel und blieb im Gewölbe stecken. Bis zur Reparatur galt einige Zeit Läuteverbot.
1992 entstand wiederum ein Riss, der 1994 von dem Glockenschweißwerk Lachenmeyer geschweißt wurde. Dabei wurde die Glocke gewogen. Ihre Daten wurden 1994 von C. Peter auf der Basis a1 = 435 Hz analysiert.
Sie ist nunmehr die einzige im „Original“ erhaltene Glocke aus dem Glockenturm, die noch im jetzigen Berliner Dom läutet. Von Fachleuten wird ihr Klang als besonders „schön“ charakterisiert.
Bernau: d1 Hörbeispiel anhören
Zur Erstbestückung des Glockenturmes gehörte die „Bernauerin“, wie die Glocke im Volksmund genannt wurde. Ihr Gewicht betrug 35 Zentner [11]. Sie wurde 1456 [12] für die Pfarrkirche gegossen und musste am 17. März 1536 „auf Sinnen und Begehren“ von Joachim II. in Cölln abgeliefert werden. Im Gegenzug erhielt die Stadt Bernau „unbedingte Zollfreiheit“ [13]. Damit stand die „Bernauerin“ am 4. Juni 1536 zur Einweihungsfeier des Alten Berliner Doms zur Verfügung. In der Lieferanweisung wird von einer „sehr großen“ Glocke gesprochen. Das ist aber relativ zu sehen, denn Archäologen fanden in Bernau Gruben (s. Anm. 23), in denen Glocken mit einem Gewicht von unter 2 t gegossen werden konnten. Das steht mit den Ausführungen von R. Bergau [14] im Einklang: „Ungewöhnlich große Glocken kommen in der Mark Brandenburg nicht vor“.
Die „Bernauerin“ zersprang 1682 und wurde 1685 von Jacob Wenzel (Magdeburg) vor dem Spandauer Tor umgegossen. Um einen stärkeren Ton zu erreichen, hat Wenzel das Gewicht auf 40 Zentner erhöht. In die reichliche Verzierung des Neugusses kam noch das Brustbild des Großen Kurfürsten und das Kurfürstliche Wappen – in Verbindung mit einer stärkeren Rippe. Mit einem Gewicht von 2,062 t und einem Durchmesser von 1,47 m kam sie als „Brandenburger“ in den Uhrenturm des Alten Doms. Die Glockenkonstante betrug jetzt 11,52.
Nachdem sie 1906 in den Berliner Dom gekommen war, zersprang sie bereits im Jahre 1907 (wegen mech. Antrieb). Der neuerliche Umguss erfolgte 1913. Mit der gebotenen Ehrfurcht schreibt man auf die Glocke: “Jacob Wenzel goß mich – von Magdeburg – 1685″ und weiter: „1907 erkrankt, reiste ich bis Straßburg, neu goß mich nach alter Form aus altem Stoff M. + O. Ohlsen in Lübeck 1913“. Sie kam wieder mit Brustbild des Großen Kurfürsten in den Berliner Dom zurück.
Brandenburg: h0
Aus der St. Katharinen Kirche wurde die h0-Glocke, die 1445 gegossen wurde, aus einem kompletten mittelalterlichen Geläut entnommen [24, S. 143 / Ein Hörbeispiel wurde nicht erstellt, weil von dieser sehr alten Glocke die Berechnungsmöglichkeiten der Teiltöne nicht bekannt sind.].
Das dürfte Joachim II. durch Einsatz von Privilegien nicht allzu schwer gefallen sein, zumal sich die „Kirchen entleert und ihre Einkünfte zum Schrecken der Pfarrer vermindert hatten“ [s. Anm. 26, S.301].
Nachdem der Turm der Katharinen Kirche nach einem Orkan 1582 eingestürzt war, wurden 1585 neue Glocken aus Maastricht beschafft (s. Anm. 26, S. 339-341).
Wilsnack: h0 Hörbeispiel anhören
In Wilsnack hatte sich eine ausgeprägte Hostienkultur entwickelt [20]. Seit 1383 wanderten hunderttausende Pilger aus aller Herren Länder in die Stadt. Aber schon 1403 entwickelte sich Widerstand. Z.B. wandte sich Jan Hus gegen die Verehrung des Wunderblutes. Durch die Untersuchung der Bluthostien (1443), die nur noch aus einem Gemisch von Krümeln und Spinnweben bestanden, wurde der Zwist noch verstärkt.
Die brandenburgischen Kurfürsten, durch zwei Bullen des Papstes (1447) gestärkt, versuchten den Wallfahrtsort durch aktive Förderung zu stützen. So stiftete Friedrich II. einen dreiteiligen Altar und unter Albrecht Achilles wurde 1471 die „Wilsnacker“ Glocke für die Wunderblutkirche St. Nikolai gegossen. Dennoch eskalierte der erbitterte Streit über die Hostienkultur. Durch das Eingreifen von Joachim II. gelang schließlich 1552 die Schlichtung, so daß die „Wilsnacker Glocke“ noch im gleichen Jahr nach Cölln gebracht wurde und wegen ihrer hervorragenden Klangeigenschaften nun endlich gegen die Glocke aus Brandenburg ausgetauscht werden konnte.
Schließlich kam die Glocke 1717/18 in den neugebauten nordwestlichen Turm des „Alten Berliner Doms“.
Im Berliner Dom ist sie dann beim Trauergeläut für die Kaiserin Auguste Viktoria 1921 zerborsten [21]. Nach dem Schweißen war sie im Winter 1924/25 erneut gesprungen. Dieses Original ist im Märkischen Museum ausgestellt, wo Harald Zimmermann den Umfang der Glocke sicherheitshalber nachgemessen hat. 1929 erfolgte ein verkleinerter Neuguss im Mitteldeutschen Stahlwerk/Lauchhammer, der sich wieder im Berliner Dom befindet.
Es sei noch bemerkt, dass die „Wilsnacker“ als Musterglocke (auch für die Osterburger) gilt. Diente sie doch Geerd Van Wou als Basis für die Rippenoptimierung für die Neuruppiner (Bild 3).
Neuruppin: a0 Hörbeispiel anhören
Als 1524 der letzte Graf aus dem Haus der von Lindow verstarb, fielen die Besitzungen an den Kurfürsten zurück. Dh. an Joachim II. ging das „erledigte Lehen“ über. Daher konnte er 1535 seiner zweiten Gemahlin die Herrschaft als Leibgedinge aussetzen und seine Machtposition weiter ausbauen.
Joachim II. hatte 1536 Zugriff zu dieser von Geerd van Wou 1490 gegossenen [24], 110 Zentner schweren Glocke aus Neu-Ruppin [15], die er in den Glockenturm nach Cölln schaffen ließ. Da die Fischer den Klang auf dem ihrem See als zu schwach beklagten, wird es relativ einfach gewesen sein, diese Glocke nach Cölln zu bekommen. Zur Zeit der Erstbestückung war sie die „Größte Glocke“ im Geläut.
Als dann im Jahr 1716 der Glockenturm abgerissen wurde, gab es zunächst keine Verwendung. Erst 1734 erfolgte ein Umguss: Es entstanden die fünf Bassglocken für das Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche.
Die Behauptung, sie komme aus dem Kloster St. Trinitatis, wie in [15] behauptet, trifft nicht zu. Sie stammt vielmehr aus der Hauptkirche St. Marien (alt), wie sich aus [27] und vor allem aus [28] entnehmen läßt.
Die Inschrift lautete [27]:
Anno milleno centeno quadruplicato
et nonageno simul hisce consociato Gerhardus fuit hujus fusilis autor Pro quo laude pia laudetur sancta Maria.
Eberswalde: g0 Hörbeispiel anhören
Folgende Fehlinformation wird verbreitet: „Beim katastrophalen Stadtbrand von 1499 [17] waren die „einstmals gegossenen Glocken im Feuer untergegangen“. Im Rahmen der Neubestückung soll eine Glocke gegossen worden sein, die nicht in den Turm der Maria Magdalenen Kirche passte [18].“
Richtig ist aber, daß es sich bei der Eberswalder g0-Glocke um eine im Jahr 1475 gegossenen Glocke handelte, die den Brand von 1499 überstanden und im neuen Turm im Erdgeschoß in einem 1786 leeren Glockenstuhl gehangen hat [31, 107]. Sie wurde über die Bernauer Heerstraße nach Cölln geschickt. Das war ein schwieriges Unterfangen, denn das Gefährt versagte am Lauseberg. Selbst 16 Pferde, die man aus der Stadt herbeischaffte, konnten nichts ausrichten. Da kam ein Bauer aus Klobbicke mit zwei Ochsen daher. Die schafften es, so daß die Fahrt fortgesetzt werden konnte. Eventuell wurde die Glocke (von Andreas Kepffel ?) an das Cöllner Geläut angepasst. Auch wird immer wieder Bernau als Herkunftsort [29, S. 163] angegeben, was natürlich falsch ist.
Sie wurde nach Cölln überstellt: … Im Jahre 1538 wurde „mit wohlbehaltenem Geist und nach abgehaltenem Rat“ das Patronatsrecht, die Pfarre und der St. Maria-Magdalene-Altar frei übergeben und im Gegenzug, d.h. „auf Bitte und Antrag eine Glocke“ nach Cölln geschafft [19].
Nachdem sie 1705 zersprungen war, besorgte Johann Jacobi (Berlin) den Umguss, den er von seiner 1702 mit barocker Rippe gegossenen „Susanne“ (e0-Magdeburger Dom) ableitete. Die Aufschrift der Vorgängerglocke von 1475 wurde übernommen. Das Gewicht betrug nach A. Geyer nunmehr 100ct und 47 lb / 5175,92 kg. Nach C. Peter beträgt der Schlagton g0 – 1 HTS und der Durchmesser 2,076 m (Barocke Rippe, Glockenkonstante 10,64).
Sie kam 1722 nach Crossen/O. Im 2. Weltkrieg landete sie auf einem Hamburger Glockenfriedhof und kam 1948 nach Berlin in die Marienkirche.
„Langestück“: e0 Hörbeispiel anhören
Die Glocke wurde 1537 von Andreas Kepffel „in Cölln an der Spree“ gegossen. Allerdings wurde sie an die Neuruppiner und Wilsnacker angepaßt (s. Tab. 1-1). Obwohl sie nun die schwerste Glocke im Geläut war (s. Anm.5, S.457), nannte man sie das „Langestück“. Der reichliche Schmuck zeigte auf der Vorder- und Rückseite die Reliefbilder von Joachim II. und seiner zweiten Gemahlin Hedwig.
Die Inschrift: „Gottes Creatur sind zwar alle gut, wohl dem, der sie recht gebrauchen thut“.
„ANDREAS KEPFFEL AUS LUTERING GOS MICH MDXXXVII.“
Es ist kein Wunder, dass diese Glocke „zu den bedeutesten Merkwürdigkeiten der Stadt“ gehörte. War sie doch mit ihren 13,2 t die schwerste freischwingende Glocke des ausgehenden Mittelalters! Heute würde man sagen, es war „die“ Sensation. Erst 1754, also Jahre nach dem Abriss des Glockenturms, wurde versucht, sie „im Stück“ zu verkaufen. Das gelang nicht, so daß sie zerschlagen und als Schrottware (wahrscheinlich nach Amsterdam) per Schiff zum Verkauf gebracht wurde.
Da die Daten der Osterburger mittlerer Weile bis ins Einzelne bekannt sind, ließen sich die Daten des „Langestück“ gut nach den Proportonalitätsgesetzen im Zusammenhang mit den Angaben von A. Geyer [8] rekonstruieren.
Übergang zum dreistimmigen Geläut
Im Jahr 1682 zersprang die Bernauer Glocke. Umgegossen kam sie 1685 als „die Brandenburger“ in den Uhrenturm, der sich über der Apsis des Alten Doms befand. Im Zuge dieser Maßnahme ist davon auszugehen, dass die Westtürme mit der Wilsnacker (ho) und der Osterburger mit (e1) ausgestattet wurden. Damit begann der Übergang zum heute noch bestehenden dreistimmigen Geläut mit dem „Tedeum-Motiv“ ho-d1-e1.
Allerdings mussten die beiden alten Westtürme bereits 1697 wegen der durch das Läuten verursachten Baufälligkeit abgerissen werden [29]. Die Wilsnacker und Osterburger dürften zurück in den Glockenturm gekommen sein. Als dieser 1716 abgerissen wurde, kamen beide Glocken 1717/18 wieder in die nunmehr neu errichteten Westtürme. Die d1-Glocke befand sich weiterhin im Uhrenturm. Aber schon 1747, als der Alte Berliner Dom abgerissen wurde, kam das Ende.
Schließlich wurden die Glocken Anfang des 20. Jh. im jetzigen Berliner Dom untergebracht und hängen nun aufgereiht im nordwestlichen Turm. Allerdings haben alle Blessuren erfahren, sind gerissen, geschweißt oder sogar noch umgegossen worden (siehe obige Einzelbeschreibungen). Dennoch sind sie alle auf eine alte Tradition zurückzuführen.
Schlußbemerkung
Über die Glocken des Geläuts kursieren nicht nur falsche Herkunftsangaben, sondern auch falsche Gewichtsangaben. Des Weiteren vertauschte Daten von Durchmessern und Höhen.
Widersprüchliche Angaben gibt es auch zur Anzahl der großen Glocken im Geläut. Es sollen 4 bis 7 Stück gewesen sein. Das läßt sich folgender Maßen erklären:
1. Weitgehend unbekannt war die „Neuruppiner“. Sie fehlt einfach in den meisten Aufzählungen. Wahrscheinlich, weil aus ihr 1734 die 5 Baßglocken der Garnisonkirche in Potsdam gegossen wurden und sie damit in Vergessenheit geraten ist.
2. Die „Brandenburger“ wird doppelt gezählt. Einerseits kam eine Glocke aus Brandenburg/Havel ins Geläut und andererseits die umgegossene Bernauer als „Brandenburger“ in den Uhrenturm (1685).
3. Die Eberswalder wurde nach dem sie 1705 gesprungen war umgegossen und nach Crossen/0. geliefert (1722).
Um die bei den Recherchen gefundenen Fehler korregieren zu können, war ein erheblicher Rechenaufwand erforderlich. Bei diesen Arbeiten erhielten wir einen grundlegenden Einblick in die ausgeklügelte Technik des Glockengießens.
Wie wir leider bei den fortlaufenden Überarbeitungen immer wieder feststellen mussten, waren wir noch nicht tief genug in die Problematik eingedrungen. So zeigen die ersten Versionen des Beitrags im Rückblick immer wieder fundamentale Fehler, weil fehlerhafte Darstellungen aufgetaucht waren, von denen wir uns haben täuschen lassen. Wesentliche Teile des Zahlenwerks in den Tabellen (Tab. 1 und Tab. 2) mussten mehrmals überarbeitet werden. Dazu kamen wichtige Neuigkeiten über die vergleichbare Qualität der Neuruppiner mit der Glorisa. Auch wurde der Einfluss Kepffels deutlicher. Ferner sein erstaunlicher Sachverstand und die Spezialkenntnisse zur Arbeitsweise von Van Wou.
Auffällig war das beeindruckende Zusammenspiel der „Gloriosa“-Daten mit den Daten der Glocke aus Neuruppin. Das ist kein Wunder, denn wie die belegten Klangexperimente von Gerd van Wou zeigen (Abb. 4), waren die Neuruppiner Glocke (1490) und die Gloriosa (1497) in ihrem Klanggefüge Schwestern. Kepffels Kenntnisstand versetzte ihn in die Lage, zwischen diesen und der neugeschaffenen Glocke, dem „Langestück“, eine „verwandtschaftliche“ Beziehung herzustellen!
Abb. 4: Die Kurven geben die Klangversuche von Van Wou wieder [22]. Die beiden Schnittpunkte bei 1490 und 1497 bedeuten, dass die Neuruppiner Glocke einen vergleichbaren Glockenklang wie die Gloriosa hatte.
Kurfürst Joachim II. bewies wieder einmal ein gutes Händchen, als er den Glockengießer Andreas Kepffel aufgrund spezieller Kenntnisse auswählte, um ein herausragendes Geläut für den Glockenturm zu realisieren.
Anmerkungen
[1] Vahldiek, Hansjürgen, Berlin und Cölln im Mittellater, 2011, S.85 oder siehe Beitrag dieser homepage: „Wie kamen wir zum Berliner Dom“
[2] siehe Beitrag dieser homepage: „Vom Berliner Glockenturm“
[3] siehe Beitrag dieser homepage: „Vom Berliner Glockenturm“
[4] Wollf,F: Die Glocken der Provinz Brandenburg und ihre Gießer, Zirkel-Architektur Verlag, 1920, des Weiteren die Limburger Richtlinien von 1951
[5] Friske, Mathias: Die mittelalterlichen Kirchen auf dem Barnim, Lukas Verlag 2001
[6] S. Anm. 4, Seite 187
[7] Grassmayr Glockengießerei: GRASSMAYR_Gelaeutedispositionen.pdf
[8] Geyer, Albert: Die Geschichte des Schlosses zu Berlin, 1935, Seite 87, Anm. 59
[9] S. Anm. 6
[10} Grabinski, Joachim: www.grabinski-online.de/glocken/Rippenschwere.pdf
[11] Bergau, F.: Inventar der Bau- und Kunstdenkmäler in der Provinz Brandenbusuprg, Bd. 1, 1882, Seite 172
[12] DKK an Minister der geistl. pp. Angel/supegenh/supeiten v. 29.2.1912, in: DomABerlin, Bestand 1, Nr.8154, Bl. 183
[13] Schmidt, Rudolf: Geschichte der Stadt Eberswalde, Band 1, 1939
und 1992, Seite 32
[14] S. Anm. 11, Seite 99
[15] Wie Anm. 11, Seite 99
[16] Wie Anm. 4, Katharinen Kirche, Brandenburg
[17] Wie Anm. 13, Seite 33 und 48
[18] Wie Anm. 5, Seite 131
[19] Wie Anm. 13, Seite 70
[20] Siehe: www. Wunderblutkirche.de (Bad Wlisnack)
[21] Bericht an Pfarrer Hachmeister, in: DomABerlin, Bestand 1,
Nr. 3146, Bl 227
[22] Lehr, Andre‘, Artikel zu Gerd Van Wou, Bild 3: www.Geert van Wou en zijn klokprofielen, Dr. André Lehr. Aus dem Niederländischen von KONRAD BUND: Gerd van Wou und seine Glockenrippen
[23] Wittkopp, Blandine: Glockengussgruppen an St. Marien in Bernau, Beiträge zur Denkmalpflege, Bodendenkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, S.576
[24] Otte, Heinrich: Glockenkunde, Leipzig, 1884, 2. Auflage, S. 217 oder „https://archive.org/stream/glockenkunde00ottegoog#page/n153/mode/2up“.
[25] Becker, Klaus-Dieter: Inventar der Bau und Kunstdenkmäler in der Provinz Brandenburg, 2013 , S.274
[26] Heffter, Moritz Wilhelm: Geschichte der Kur- und Hauptstadt Brandenburg, 1840, S. 301
[27] Dieterich, Martin: Historische Nachricht von denen Grafen zu Lindow und Ruppin, Berlin 1775, Seite 32 und Seite 114
[28] Bittkau, Gustav: Die ältere Geschichte der Stadt Neuruppin, 1887,
Seite 43
[29] Borrmann,Richard: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, 1892, S. 159,161,163
[30] Hach,Theodor: Lübecker Glockenkunde, Lübeck 1913, S. 199
[31] Schmidt, Rudolf: Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde zu Eberswalde, 1. Jahrgang, S. 106 und 107.
[32] Eichler Kartei (s. Abb.5): Die Inschrift lautet: ANDREAS KEPFFEL AUS LUTERING CZV KOLLEN AN DER SPRE GOS MICH MDXLIIII
[33] Harald Zimmermann zum Verbleib der Kepffelschen Stundenglocke: Folgenden kirchlichen Archive wurden abgefragt: UEK Hannover, EVLKA Hannover, GNM Nürnberg. Ferner das Berliner Landesarchiv.
Wichtige, weiterführende Hinweise auf diverse Akten im ELAB-EKBO gab freundlicher Weise Herr Kohlrausch-Link:
ELAB (1-979): Am 7. Okt. 1947 wurde ein Gesuch vom Konsistorium (Berlin, Jebenstr. 3) an die SMA in Berlin-Karlshorst gestellt, um die Glocken vom Oranienburger Lager (genauer an der Schleuse Lehnitz) zur Berliner BEHALA umsetzen zu können.
Am 18. Dez. 1947 erfolgte bereits die (sehr respektvolle) Antwort: In der „sowjetischen Zone“ befänden sich 281 Glocken (ev.). Davon befanden sich 195 Glocken in Apolda und 86 Glocken in Oranienburg. Der Glockengießer Schilling führte im Rahmen seiner Begutachtungen die gelbe Nummerierung ein.
ELAB (1-3287): Verladeaufstellung vom 19. II. – 28.II. 1948 (2 Tabellen) von Oranienburg zur BEHALA. Von letzterem Lager gibt es ein Foto (LAB). Die fehlende Übereinstimmung verschiedener Daten wurde bemängelt. Die Kepffelglocke hat die die gelbe Nr. 96 und die Hüttennr. 1612.
ELAB (1-980/Band II): Am 30. Jul. 1948 schreibt Schilling, daß 38 dubiose Glocken zurückblieben. In der BEHALA befinden sich 9 dubiose Glocken, darunter die Glocke von Andreas Kepffel (Leitzahl 7/14/31) von 1544/ Nr. 96/gelb bzw. 1612 mit 0,96 m Durchmesser.
Am 27. Aug. 1948 meldet Dr. Seeger (Berlin-Wannsee) Herrn Dr. Lerche (Konsistoriumsmitglied), daß die Vergabe der dubiosen Glocken größtenteils geklärt und erledigt sei.
Am 20. Okt. 1948 schreibt Ullrich Grunmach an den Gemeindekirchenrat, daß er bei seinem Besuch (12, Okt. 1948) auf dem Gelände der BEHALA die alte wertvolle Kepffel-Stundenglocke von St. Maria Magdalenen anhand der Umschrift aufgefunden hat. Eine Rückführung ist zu empfehlen. (Dieser Brief wird von der Gemeinde St. Maria Magdalenen verwahrt).
Am 22.Nov. 1948 wird von der Fa. Heyl (Berliner Schlosserei) auf einem – mit dem Briefkopf von Schilling versehenen – Blatt festgestellt: Die Glocken mit der gelben Nr. 18, 159, 164, 165, 281 sind schadhaft und gehen nach Apolda zurück. Daraus folgt, daß sich die Kepffel-Glocke in einwandfreiem Zustand befand!
Bemerkenswert ist eine gezielte Anfrage aus Alt Ruppin vom 2. Febr. 1948 an das Konsistorium : Es wird um eine größere Glocke (as1) gebeten, deren Durchmesser 0.96 m beträgt und ein Gewicht von 550 kg besitzt. Da das die Daten der Kepffelschen Glocke sind, muß jemand einen Tip gegeben haben, das solche Glocke zur Verfügung steht!
Dieser Bitte scheint damals das Konsistorium nicht gefolgt zu sein, denn nun, am 31. Okt. 2018 wurde uns mitgeteilt, daß sich die gesuchte Glocke nicht in St. Nikolai in Ruppin befindet.
Die wertvolle Kepffelsche Stundenglocke ist also verschollen. Es bleibt nur zu hoffen, daß man sie durch einen Zufallsfund entdeckt.
Abb. 5: Die Stundenglocke (1544) von Kepffel. Foto in der Eichlerkartei (Glockensachverständiger der EKBO Herr Helmut Kairies)
Harald Zimmermann war wesentlich an den Recherchen beteiligt und hat die umfangreiche Berechnungen durchgeführt. Er ist erreichbar unter: sabine75.hz@gmail.com