Projektion mittelalterlicher Befunde aus Köpenick auf die Berlin-Cöllner Spree

Anhand des Grabungsberichts in Köpenick wird nachgewiesen, dass der Pegelanstieg der Spree im Anfang des 13. Jh. klimabedingt war und der Stau am Berliner Mühlendamm erst später erfolgte.

Mit dem Grabungsbericht [1] vom Grundstück Alt-Köpenick 17-19 beschreibt Michael Malliaris eine archäologische Besonderheit. Nicht nur, dass er dort vier zeitgestaffelt übereinander liegende Stabbohlenhäuser aus der Zeit zwischen 1200 und 1250 nachweisen konnte, sondern dass auch die Reaktion der Menschen auf den Anstieg des Grundwasserspiegels sichtbar wird. Der Verlauf ließ sich insbesondere im Zeitraum um 1215 oder „bald danach“ anhand von Dendrodaten gut nachvollziehen.

Der Wasseranstieg war für die Menschen sicherlich dramatisch. Während der 300-jährigen, bis um 1200 andauernden Trockenperiode hatten sie sich auf verminderte Niederschlagsmengen und damit auf die allgemeine Trockenheit eingestellt. Nun waren sie zwischen 1180 und 1300 einer ständigen Erhöhung der Niederschlagsmengen [2] ausgesetzt (s. Abb. 2, oben). Dazu kam der Grundwasseranstieg. Kellerbereiche mussten – wie in Köpenick – während mehrerer Jahrzehnte immer wieder aufgeschüttet oder isoliert werden, um sie einigermaßen trocken halten zu können.

Die Köpenicker Wasserstände gelten bis auf wenige Zentimeter auch in Berlin-Cölln [3], da die Flussstrecke Köpenick-Berlin praktisch kein Gefälle hat. Dass die Köpenicker Ergebnisse auch für Berlin herangezogen werden können, bestätigen die Beobachtungen der Kellerbefunde in Berlin, wo um 1200 noch Kellertiefen von fast 30 m NN möglich waren, man aber um 1220 die Keller nicht tiefer als 32,40 m NN einbringen konnte.

Das Baugeschehen der vier Köpenicker Stabbohlenhäuser

Das erste Stabbohlenhaus wurde um 1200 errichtet. Wie Abb.1 zeigt, lag der Schwellbalken bei 31,85 m ü. NN und somit mehr als 1 m über dem urspünglichen Wasserstand von etwa 30,50 m. Der Keller dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach trocken gewesen sein. Ob das Haus wegen des sich langsam entwickelnden Wasseranstiegs abgerissen wurde, ist nicht bekannt.

Abb. 1: Profil aus dem Grabungsbericht. Zwei markante Wasserstände und die Lage der Schwellbalken werden hervorgehoben

Der größere Nachfolgebau erfolgte um 1215 (nach 1212). Es fällt allerdings auf, dass die Kellersohle sorgfältig mit einer dicken, gegen Feuchtigkeit isolierenden Schicht abgedeckt wurde. Der Nutzungshorizont lag bei 32,15 m ü. NN. Bereits nach einer relativ kurzen Nutzung fand eine Überflutung statt, so dass der Boden durch eine Planierschicht (0,3 m Sand) höher gelegt werden musste. Die stark wasserabweisende Abdeckung lässt auf einen weiteren Wasseranstieg schließen. Eine 15 cm starke Nutzungsschicht weist auf eine längere Nutzung hin. Nach erneuten Überflutungen erfolgte der totale Abriss.

Damit hatte der Spreepegel in Köpenick als auch in Berlin bereits bald nach 1215 einen Wasserstand von 32 m ü. NN (eventuell darüber) erreicht, was einem Wasseranstieg um etwa 1,5 m entspricht.

Nun folgte der Neubau „nach 1215“, der auf eine 0,4 m starke Planierschicht gesetzt wurde. Dessen Schwellbalken befanden sich nunmehr bei 32,50 m ü. NN.

Nach einer etwa 30 Jahre dauernden Nutzung musste dieser Komplex weichen und dem um 1250 (nach 1246) errichteten Nachfolgebau Platz machen. Die leicht erhöhten Schwellbalken lagen bei 32,70 m ü. NN.

Der Grundwasseranstieg

In Abb. 2, oben wurde die Höhenlage der Schwellbalken mit roten Kreuzen markiert. Interessant ist, wie man sich auf den Wasseranstieg eingestellt hat. So ist beim ersten Haus der Abstand zwischen Grundwasser und Schwellbalken deutlich über 1 m, während man sich beim letzten Haus mit einem wesentlich geringeren Abstand zufrieden gab.

Abb. 2. Oben: Vermutlicher Verlauf der Köpenicker Wasserstände in Korrespondenz zur Grabung. Die Dauer der Grundwasserwelle, die sich langsam aufbaute, ist unbekannt.
Rote Kreuze geben die Höhenlage der Schwellbalken der verschiedenen Bauten in Köpenick an. Der Stau am Mühlendamm erscheint als sprunghaftes Ereignis. Seine signifikanten Pegel liegen als Oberwasser (OP) und Unterwasser (UP) vor.
Unten: Kurve der klimabedingten Niederschlagsmenge (s. Anm. 2). Das Ende der Grundwasserwelle (oben rechts) wurde aus der Kurve der Niederschlagsmenge abgeleitet.

Für die Kurven in Abb. 2 (oben) liegen keine genaueren Daten vor. Der prinzipielle Verlauf wurde aus wenigen Anhaltspunkten entwickelt. Dennoch lässt sich deutlich erkennen, dass der um 1215 erfolgte langsame, über Jahre dauernde Anstieg der Wasserstände nicht auf den Mühlenstau in Berlin, sondern auf eine klimabedingte Grundwasserwelle zurückzuführen ist. Ein Stau (Abb. 2, rechts oben) wäre ein in Stunden zu messendes Ereignis und nicht mit dem langsamen Anstieg um 1215 vergleichbar.

Grundwasserwellen sind nichts Ungewöhnliches [4]. Bei großen Niederschlagsmengen, wie sie in Abb. 2 (unten) nach 1180 zu beobachten sind, werden wasserführende Schichten so stark belastet, dass ein Stau entsteht und sich der Grundwasserpegel erhöht. Wenn die erhöhten Niederschlagsmengen, wie am Ende 13. Jh. , klimabedingt verschwinden, geht der Pegel wieder zurück.

Im ansteigenden Teil der Kurve in Abb. 2 (oben) wird die um 1200 auslaufende Trockenperiode berücksichtigt, in der die einstigen Grundwasserspiegel bis zu 2 m niedriger [5] waren. Dem Verlauf bei „1215“ ist eine recht hohe Wahrscheinlichkeit zu zuordnen, denn gerade für diesen Zeitraum sind die Beschreibungen des Grabungsberichts sehr detailliert.

In Berlin wird der Wasserstand,der dem in Köpenick entsprach, seinen Höchststand von über 32 m ü. NN um 1225 erreicht haben! Diese Situation dürfte während der gesamten Grundwasserwelle vorgeherrscht haben.

Erst nachdem sie verebbt war, konnte der Mühlendamm mit seiner spezifischen Funktion (Abb. 3) errichtet werden. Schließlich basierte seine Funktion auf dem Stau [6], der die Konzentration des Wassers auf die Mühlräder ermöglichte.

MdHist

Abb. 3: Der Mühlendamm hatte drei Durchbrüche, in die das aufgestaute Wasser, das sogenannte Oberwasser (OP), herabstürzte. Das in den Gerinnen konzentrierte Wasser wurde den im Unterwasser (UP) stehenden Mühlrädern zugeführt.

Es ist nicht ganz zu verstehen, dass man die Landschaften, die einst durch die Überflutungen vernichtet wurden, nicht wieder zurück gewann, sondern den Mühlenstau errichtete. Wurde doch durch den Stau der durchgehende Schiffsverkehr unterbrochen und das Köpenicker Siedlungsgebiet, das niedriger lag als das Berliner, wiederum überflutet. Letzteres war vielleicht erwünscht, um den wirtschaftlichen Niedergang Köpenicks zu beschleunigen.

Man könnte daher vermuten, dass sich während des um 1215 beginnenden Ausbaus Berlins [7] im Laufe von 50 Jahren (Ende der Welle) Strukturen entwickelt haben, die einen hohen Wasserstand voraussetzten. Das gilt z. B. für den größeren Tiefgang, der den Schiffsverkehr nach Osten verbesserte. Ferner ließen sich die Stadtgräben fluten. Um die Situation nach dem Rückgang der Wasserstände um 1280 aufrecht zu erhalten, war ein Stau zwingend notwendig.

Schlussbemerkung

Den vorangestellten Untersuchungen liegt der Grabungsbericht vom Grundstück Alt-Köpenick 17-19 zugrunde. Der langsame Anstieg der Wasserpegel um 1215 in Köpenick ist klar zu erkennen. Man kann davon ausgehen, dass die Köpenicker Wasserstände mit denen in Berlin vergleichbar waren. Nicht nur den Köpenickern sondern auch den Berlinern machten die Überflutungen zu schaffen.

Beim Versuch, den Verlauf der Wasserstände zu rekonstruieren, wurde eine Jahrzehnte dauernde Grundwasserwelle festgestellt, die um 1215 begann, deren Ende sich aber nicht bestimmen ließ. Daher ist es weiterhin ungewiss, wann der Mühlendamm errichtet wurde. Er könnte erst am Ende des 13 Jh. [8][9] entstanden sein. Das würde mit dem von Ralf Bleile beobachteten Zeitrahmen übereinstimmen [10].

Die Siedlungskerne von Berlin und Cölln waren wegen ihrer höheren Lage (34 m ü. NN) während dieser über einen beträchtlichen Zeitraum andauernden Grundwasserwelle von der Überflutung nicht betroffen. Dagegen werden die bei oder unter 32 m ü. NN liegenden Geländebereiche in Berlin [11] überflutet worden sein, so dass die niedrig liegende Überbrückung an der jetzigen Rathausbrücke in Mitleidenschaft gezogen war. Als neue Überbrückung kam nun die Engstelle an der jetzigen Mühlendammbrücke zum Zuge.

Ursächlich für die Grundwasserwelle dürften die erhöhten klimabedingten Niederschlagsmengen gewesen sein, die zwischen 1180 und 1300 auftraten.
Dazu kam noch das Frühjahrshochwasser mit etwa 1 m.

Anmerkungen

[1] Malliaris, Michael: Ausgrabungen in der Altstadt von Berlin-Köpenick, Miscellanea Archaeologica, Festschrift f. Adriaan von Müller zum 70. Geburtstag, 2002, S 113-151

[2] Büntgen, U. et al: European climatevariabillity and human susceptibilityoverthepast 2500 years, 2011, Science 331, 578-582, Abb.4 / siehe auch homepage-Beitrag „Frühdeutsche Siedlungen am westlichen Rand der Teltowhochfläche“, Abb. 1

[3] Bei einem Zufluss von 50 m3/s ergibt sich ein Tagesvolumen von 5 * 106 m3, das einen Pegelausgleich im Bereich von Stunden ermöglichte

[4] Internetrecherchen, telefonische Fachauskunft beim GFZ

[5] Herrmann, Joachim: Wasserstand und Siedlung im Spree-Havelgebiet in frühgeschichtliche Zeit. Ausgrabungen und Funde 4, 1959, S. 91 ff

[6] Der Stau am Mühlendamm wurde aus einer Pegelbasis von 30,50 m NN (jetzt Unterspree) bis auf einen Wert von 32,20 m NN (jetzt Oberspree) gebracht

[7] Vahldiek, Hansjürgen: Berlin und Cölln im Mittelalter,
Selbstverlag, 2011, S. 43

[8] Wahrscheinlich vor der Erstnennung 1298 (s. Uhlemann, Hans-Joachim: Berlin und die märkischen Wasserstraßen, 1994, S. 103)

[9] Herzberg/Rieseberg: Mühlen und Müller in Berlin, Berlin 1987, S. 51

[10] Bleile, Ralf: Die Auswirkungen des spätmittelalterlichen Wassermühlenbaus auf die norddeutsche Gewässerlandschaft, in: Greifswalder Mitteilungen Nr. 7, 2005, Hrsg. Günter Mangelsdorf

[11] Vahldiek, Hansjürgen: Berlin und Cölln im Mittelalter, Selbstverlag, 2011, Abb. A.13