Vom Spreeübergang, dem Berliner Spreepaß

Zwischen 1190 und 1300 fand ein dramatischer Klimawandel statt: Die auslaufende Trockenperiode schlug in eine länger andauernde Überflutungsperiode um. Die Spreeübergänge mussten daher mehrmals verlegt und angepasst werden. Das Gelände soll sogar sumpfig gewesen sein.

War das Gelände wirklich sumpfig?

Das Urstromtal zwischen den Hochflächen des Barnim und des Teltow weist eine Verengung auf (Abb. 1). Hier soll der Übergang in einem sumpfigen Gebiet gewesen sein, so die allgemeine Vermutung. Die Fakten sprechen dagegen!

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Abb. 1: Geologische Karte von Berlin. Rote Marken geben die Lage von Berlin und Cölln an.

Geologische Quellen beschreiben eine Jahrtausende zurückliegende Versumpfung. Damals war das Spreetal in der ganzen Länge und Breite mit großen Sumpfgebieten überdeckt, die später überflutet und mit Flusssand abgedeckt wurden. Sie vermoorten wegen Sauerstoffmangels.

Um 1200, als die Besiedlung der Berliner Region begann, hat man die einstige Versumpfung nicht mehr wahrgenommen! Schon zuvor konnte der Handelsweg Spandau-Köpenick (Abb. 2) über dieses Gebiet geführt werden [7], zumal das Spreetal während der 300-jährigen Trockenperiode [8] – also vor 1200 – wesentlich trockner gewesen sein dürfte.

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Abb. 2: Handelswege und extrem wenig besiedelte Gebiete [7 ] auf dem Teltow und Barnim. Die grüne Linie deutet auf eine Besiedlung an den Feuchtgebieten an der Grundwaldseenkette am Ende der Trockenphase.

Immer noch hält sich die Vorstellung, dass sich der erste Übergang als Furt am Mühlendamm befand, dort wo die Spree angeblich ihre engste Stelle hatte. Dem setzt Müller-Martens [2] entgegen: Es fehlt die „exklusive Lage und Anziehungskraft“ des Übergangs am späteren Mühlendamm, zumal es seit langem in Spandau und Köpenick erprobte Übergänge gab.

Kann es an der Spree eine Furt gegeben haben? Das ist unwahrscheinlich, denn ein Durchwaten der Furt oder eine Zufahrt über Furtwiesen wie z. B. in Stralau war nicht gegeben, lag doch das Siedlungsgebiet und damit der Zugang zur Furt zunächst 3,5 m über dem Spreepegel, der am Beginn der Besiedlung um 30 m NN betrug. Er stieg dann nach 1215 auf 32,2 mNN, was ein Durchwaten unmöglich gemacht hätte. Durch archäologische Untersuchungen an den Kellern von Händlerhäusern wurden die Wasserpegel bestätigt.

Die Trockenperioden

Nach Klaus-Dieter Jäger gab es in den vergangenen 7000 Jahren acht Trockenperioden [8]. Die letzte dauerte 300 Jahre und endete unmittelbar vor 1200. Aus dem Jahr 1170 wird berichtet, daß der Rhein und die Donau so stark ausgetrocknet waren, daß man ohne Probleme zu Fuß die Flüsse durchqueren konnte. Das dürfte auch für unsere Spree gegolten haben.

Dazu gibt es interessante Aussagen in den archäologischen Befunden aus der Ortsakte des Archäologischen Landesamts Nr. 724 A-F. Die Daten beziehen sich auf eine Fundstelle, die mitten in der Spree unterhalb der Mühlendammbrücke liegt. Die Objekte datieren aus verschiedenen Epochen: Neolithikum, jüngere Bronzezeit, römische Kaiserzeit (1. Jh.) und Völkerwanderungszeit. Diese Epochen stimmen mit den von Jäger angegebenen trockenen Epochen überein! Hat die Spree während dieser Perioden trocken gelegen? Das würde bedeuten, daß es keine speziellen Übergänge gab?

Die feuchte Periode ab 1200

Die Abb. 3 zeigt uns sehr deutlich, daß die Niederschlagsmenge kurz vor 1200 steil anstieg. So verrät uns die Grube auf dem Gelände des Podewilschen Palais [16], daß der Grundwasserpegel um 1202 nur bei 30,20 mNN lag!


Abb. 3: Durch erhöhte Niederschlagsmengen (unten) entstand eine Grundwasserwelle (oben). Beim Stau, der wahrcheinlich gegen Ende des 13. Jh. wegen des Rückgangs der Grundwasserwelle angelegt wurde, wurde das Unterwasser (UP) angehoben, so daß das Oberwasser (OP) entstand. Als rote Kreuzchen sind die Köpenicker Befunde markiert, siehe homepage-Beitrag „Projektion mittelalterliche Überflutung Befunde aus Köpenick auf die Berlin-Cöllner Spree“.

Bei entsprechender Wasserführung der Spree, also bei einem Wasserspiegel von etwa 30 mNN, dürfte es zur Spreeüberquerung Knüppeldämme gegeben haben. Nach Abb. 3 wäre das um 1200. Wo könnten diese Übergänge gelegen haben? Da kommt der Mühlendamm in Frage, der ja der älteste gewesen sein soll (?) und die engste Stelle, die an der jetzigen Rathausbrücke liegt.

Bemerkenswert ist, daß in den archäologischen Berichten der Ortsakte Nr. 724 A-F am Mühlendamm kein Knüppeldamm erwähnt wird, obwohl aus den Veröffentlichungen zum Abriß der Mühlen berichtet wird, daß gut erhaltenes Material eines Knüppeldamms gefunden wurde. Allerdings sind die Beschreibungen ungenau und widersprüchlich, so daß man fast geneigt ist, es handele sich um eine Verwechselung mit den Angaben der Ortsakte 717, die verläßliche Angaben zu den Grabungen an der Rathausbrücke liefert. Im Gegensatz zum Mühlendamm hatte hier die Spree eine stark ausgebildete Engstelle, so daß hier ein Knüppeldamm zu erwarten wäre, zumal hier ein historischer Fernweg existierte.

Die vermutliche Entwicklung der Spreeübergänge

Für die Entwicklung des Spreepasses war die Klimaentwicklung [10] entscheidend (Abb. 3). Sie läßt sich in vier Epochen beschreiben.

Der Grundwasserpegel (Abb. 3) erreichte um 1220 für längere Zeit eine Höhe von 32,20 mNN, so daß die Knüppeldämme überflutet und damit unbrauchbar wurden. Um einen Spreeübergang zu ermöglichen, mußten Brücken angelegt werden:
An der engsten Stelle (Abb. 4) muß es eine niedrig liegende Brücke (32 m NN) gegeben haben. Sie wurde vom weiter ansteigenden Wasser überflutet, so daß nunmehr hochliegende Brücken (34 m NN) gebaut werden musste. Als „Neue Brücke“, der jetzigen Rathausbrücke, kam die „Lange Brücke“ hinzu.

Später diente sie vorwiegend dem Verkehr, während sich der Mühlendamm zu einer Geschäftsstraße mit starkem Publikumsverkehr entwickelte.

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Abb. 4: Verschiedene Örtlichkeiten des Spreepasses im ortsfesten Bereich Berlins. Die Geländedarstellung entspricht einem Spreepegel von 30,50 m NN, der klimagesteuert stark schwankte. Der Knüppeldamm wird an dieser Stelle nicht erwähnt, passt aber zum damaligen Stadtbild.

1. Um 1200: Die über mindestens 300 Jahre dauernde Trockenperiode fand ihr Ende. In dieser Übergangszeit dürfte man Knüppeldämme angelegt haben. Die Lage eines Spreeübergangs – etwa beim „Heiligen Georg“- ist der Abb. 4 zu entnehmen. Zum Weg nach Spandau dürfte der Anschluss über das ansteigende Gelände zur jetzigen Spandauerstrasse/Ecke Rathausstrasse erfolgt sein. Nach Köpenick ging es direkt entlang am Ufer.
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Abb. 4 a: Ein Knüppeldamm [1] bestand aus einer Lage von Eichenstämmen direkt auf der Flusssohle liegend. Deren Durchmesser betrug 1 m. Darauf waren Faschinen aus Birkenreisig angebracht, die wiederum mit einer Lage von Baumstämmen abgedeckt waren. Diese Packung hatte insgesamt eine Höhe von etwa 2 m. Demnach konnte der Damm bis zu einer Spreepegelhöhe von etwa 30,50 m NN benutzt werden.

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2. Nach 1200: Der ansteigende Spreepegel überflutete den Knüppeldamm und den direkt anliegenden Uferbereich. Als Ersatz eignete sich nun die nebenstehende Engstelle (s. auch Abb. 4), die flussabwärts 50 m neben der jetzigen Rathausbrücke lag. Diese Örtlichkeit war optimal: Die zu überspannende Flussbreite betrug nur 60 m und die Uferhöhe 32 m NN, so dass der Übergang von den Ufern her gut erreichbar war.
Ein weiterer Vorteil war die 1,5 m bis 2 m über dem Spreepegel liegende Überbrückung (Abb.5). Daraus ergab sich eine ausreichende Durchfahrtshöhe für die Schifffahrt, wie wir das schon von den Havelbrücken am Burgwall in Spandau her kennen [11]. Leider wurde diese Brücke nicht nachgewiesen, doch spricht einiges für ihre Existenz.

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Abb. 5: Überbrückung bei einer Höhe von 32 m NN

3. Nach 1215: Durch den weiterhin ansteigenden Wasserpegel kam es zur Überflutung der niedrig liegenden, ersten Brücke, die nun auch ein Hindernis für die Schifffahrt war (Abb.5). Wahrscheinlich wurde sie abgerissen.

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Abb. 6: Überflutungen des Geländes über 32 m NN (nach 1215)

Zu beachten ist, dass durch die Überflutung eine neue verwertbare Engstelle (in Abb. 6 und Abb. 6 a) am späteren Mühlendamm entstand. Allerdings betrug die Überspannungsweite nun etwa 160 m. Die Überbrückung konnte bei 34 m NN vorgenommen werden (Abb. 7), so dass die Brücke wiederum gut erreichbar war, lag sie doch auf der Höhe der Siedlungen. Auch war die Durchfahrtshöhe für die Schifffahrt ausreichend.

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Abb. 6 a: Der Spreepegel lag nunmehr bei über 32 m NN. Sämtliche Gebiete bis zu einer Höhenlage von 32 m NN waren überflutet (Abb. 6). Das bestätigen auch zahlreiche archäologische Befunde [12].

Nach der Überflutung musste – wie aus der Urkunde vom 7. Jul.1365 [15, S. 61] ersichtlich – eine „Neue“ Brücke gebaut werden (s. „Lange Brücke“ in Abb. 8). Baulich war sie vergleichbar mit Abb. 7. Es ist fraglich, ob das sogleich nach Überflutung der ersten, an der alten Engstelle liegenden Brücke geschah oder erst später im Zusammenhang mit dem Umbau zum Mühlendamm.

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Abb. 7: Überbrückung an der neuen Engstelle bei 34 m NN ?

4. Um 1290: Nachdem der hohe Pegel der Grundwasserwelle wieder auf den Normalstand der Spree von 30,50 m NN zurückgefallen war, konnte man das Stauwehr, den Mühlendamm, errichten (Abb. 8): Durch das Stauwehr wurde die Spree auf 32,20 m NN angehoben (Abb. 3, Oberwasser).

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Abb. 8: Nach der Errichtung des Mühlendammstaus gab es zwei Spreepegel: Das Unterwasser (hellblau, einstmaliger Spreepegel) und das Oberwasser (dunkelblau)

Um den Spreestau zu realisieren, wurden aus der Brücke (Abb. 7) zahlreiche Pfähle für die drei Gerinnedurchbrüche G1-3 (Wasserdurchlaß), herausgeschnitten (Abb. 9). Die Dammstücke D1-2, also der egentliche Stau, entstand durch die Verfüllung des verbliebenen Pfahlwerks mit grossen Findlingen [13]. Im Unterwasser standen die Mühlen.

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Abb. 9: Struktur des Baukörpers am Berliner Mühlendamm. In den Gerinnen G1-3 (gelb) wird das Oberwasser in den Unterwasserbereich (grün) geleitet. Dazwischen liegen die Dammbereiche D1-2.

Schlußbemerkung

Der Spreepass musste klimagesteuert mehrmals verlegt werden (Abb. 4). Die Gegebenheiten brachten auch immer wieder Änderungen in der Bauausführung mit sich, was natürlich die Stadtentwicklung beeinflusste.

Hinweise auf die Datierungen des Wasseranstiegs ergeben sich aus den Köpenicker Befunden. Sie sind als Kreuzchen in Abb. 3, oben eingetragen [6]. Auch archäologische Befunde aus Berlin [16] unterstützen die Aussagen.

Der Mühlendamm könnte um 1280 erbaut worden sein. Die Lange Brücke dürfte erst in diesem Zusammenhang errichtet worden zu sein (Abb. 8)

Literaturanmerkungen

[1] Herzberg, Rieseberg: Mühlen und Müller in Berlin, S.51
[2] Müller-Martens, Eckhard: Berlin im Mittelalter, 1987
[3] Herrmann, Joachim: Cölln und Berlin, Bäuerliche Rodungsarbeit und landesherrliche Territorialpolitik im Umfeld der Stadtgründung, Jahrbuch für Geschichte, Bd. 35, 1987, S. 23
[4] Büntgen, U. et al: European climatevariabillity and human susceptibilityoverthepast 2500 years, 2011, Science 331, 578-582, Abb.4
[5] Vahldiek, Hansjürgen: Cölln an der Spree, S. 29
[6] Malliaris, Michael: Ausgrabungen in der Altstadt von Berlin-Köpenick, Miscellanea Archaeologica, Festschrift f. Adriaan von Müller zum 70. Geburtstag, 2002, S 113-151
[7] Herrmann, Joachim: Magdeburg-Lebus, zur Geschichte einer Straße, Ur- und Frühgeschichte Potsdam, 1963, S.89
[8] Jäger, Klaus-Dieter: Oscillations of the waterbalance during the Holocene in interior Central Europe, Quaternary International 91, 2002, S. 33-37
[9] Die slawische Bezeichnung „brl“ soll sumpfig bedeuten. Das führt zur Erweiterung „Berl“ = sumpig. Allerdings gibt es auch die Erweiterung „Barl“, was „gute Ackerfläche“ bedeutet, die von den Dominikanern verwendet wurde. So wurde im Chorgestühl in Röbel (Müritz) die Inschrift „ barlinensis 1297“ als Gründungsdatum für den Convent in Cölln eingetragen.
[10] siehe mein Homepage-Beitrag „Frühdeutsche Siedlungen am westlichen Rand der Teltowhochfläche“
[11] Müller, Adriaan von: Spandau, Fürstenburg, Fernhandelsplatz und frühe Stadt, 1997
[12] Schuster, Jan: Archäologische Untersuchungen an der Stralauerstraße, Miscellanea Archäologica II., Landesdenkmalamt Berlin, 2005, S. 208 ff.
Des Weiteren bestätigen zahlreiche Kellerbefunde den Anstieg der Wasserstände in Berlin. So waren um 1200 Kellertiefen bis zu 30 m NN möglich, wärend später um 1220 nur noch Tiefen von 32,50 m NN möglich waren (Abb. 4).
[13] Vahldiek, Hansjürgen: Berlin und Cölln im Mittelalter, 2011, S. 52
[14] Bleile, Ralf: Die Auswirkungen des spätmittelalterlichen Wassermühlenbaus auf die norddeutsche Gewässerlandschaft, in: Greifswalder Mitteilungen Nr.7, 2005, Hrsg, Günter Mangelsdorf
[15] Vahldiek, Hansjürgen: Berlin und Cölln im Mittelalter, 2011, S. 48 und 57
[16} Dressler, Torsten: Genese des Areals Podewilsches Palais, Archäologischer Grabungsbericht, Berlin 2002